Weblog: Willi wandert
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Der letzte Tag: Die letzte Burg in Freiburg
Es ist geschafft. Am Freitagnachmittag bin ich bei meiner letzten Burg angekommen – in Freiburg. An der Kirche liegt mir das Wappen zu Füßen, das eine Burg wie sie im Buche steht, zeigt. Es ist eine Pflasterarbeit, die aus Rheinkieseln hergestellt ist. Als Geschenk der Namensvettern aus Freiburg im Breisgau. Hat sie tatsächlich so ausgesehen, mit Türmen und Burgzinnen. Ich mache ich mich auf, um die Lage näher zu erkunden.
Einer der Fachleute, die sich mit der Geschichte Freiburgs befassen, ist Harald Breitmoser. Der Angestellte der Samtgemeindeverwaltung hat historische Schriften gesammelt und kann ein ziemlich gutes Bild von der Burg abgeben, die damals zwischen zwei Prielen direkt an der Elbe stand. Heute liegt Freiburg ein Stück weit davon entfernt.
Die Vorstellung vom Aussehen geht so in Richtung Asterix und Obelix. Auf einer Wurt stehen Häuser, umgeben von Holzpalisaden. Das sumpfige Gelände drumherum ersetzt einen Burggraben, dürfte aber weitaus effektiver sein in der Abwehr der Feinde. Mit der ersten Erwähnung Freiburgs 1154 wurde zugleich eine Burg durch den Bremer Erzbischof Hartwig I. erbaut. Doch sie sollte nicht lange Bestand haben, was wiederum zeigt, dass sie nötig war. Schon 1189 wurde die Burg durch Heinrich den Löwen zerstört und nicht wieder aufgebaut. So auf den Geschmack gekommen, setzte ich meiner Wanderung erstmal durch den Flecken Freiburg fort. Doch davon später mehr.
Den Blick schweifen lassen
Die Wanderung durch das Kehdinger Land, die mich in den letzten Tagen von Bützfleth über Drochtersen nach Freiburg führte, war insbesondere von zwei Blickrichtungen bestimmt. Die eine ging immer wieder über das großzügig vor mir liegende Land mit seinen großen Pferde- und Kuhweiden, mit Obsthöfen und den allgegenwärtigen Deichen. Der zweite Blick ging stets nach oben, denn für jeden Tag gab es die Ankündigung von Regen – für einen Wanderer nicht ganz unwichtig. Das meinte wohl auch ein Leser, der mir einen Link zu einer Wetter-Homepage schickte. „Sollte helfen, zumindest die kurzfristige Weiterentwicklung abzuschätzen“. Danke dafür. Tatsächlich fing es am Freitagnachmittag an zu tröpfeln, aber da war ich mit meiner Wanderung schon so gut wie durch.
Es gibt hierzulande für Touristen eine Steinroute, eine Obstroute, eine Waldroute und, und, und. Meine Burgenroute war etwas gewagt, und ich hätte mir nicht träumen lassen, jeden Tag so ausgiebig auf den Spuren der Burgen im Landkreis wandeln zu können. Als Beispiele seien die Esteburg, der Burgmannshof und die Festung Grauerort genannt. Und es wäre noch mehr gegangen, wenn ich Schwinge, Burg bei Hammah und auch Issendorf mit einbezogen hätte. Aber ich kann nicht überall sein – als Wanderer wurde mir das fast täglich bewusst. Zum Beispiel, wenn ich nach dem nächsten Café fragte. Meist lag es nur fünf Minuten entfernt – für Autofahrer.
Zurück nach Freiburg, dem Ziel meiner Wanderwoche: Am Kornspeicher treffe ich Catharina Seebeck und Jörg Petersen, die Geschicke der Kulturstätte lenken. Gerade wird eine Bilderausstellung vorbereitet, seit ein paar Wochen erinnert vor der Terrasse ein Sturmflutdenkmal von Gerd Rehpenning und Ralf Schiefbahn an die dramatischen Zeiten des Lebens am Wasser. Bei Hafenmeister Hansi Stahr ist Hochbetrieb. Die Rentnergang ist da. Um mit dem Hafenmeister über die Probleme der Welt und deren Lösung zu sprechen. „Und wenn wir uns mal nicht einig sind, sprechen wir über Fußball“, sagt einer. Eigentlich sei die Werkstatt von Hansi Stahr der einzige Ort, wo man mal die Wahrheit sagen könne.
Jede Minute wird der Krabbenkutter im Hafen erwartet. Manch einer steht schon mit dem Eimer am Kai. Doch dann kommt die Nachricht, dass das heute nichts mehr wird. Wer schnell schaltet, geht noch zum Fischwagen und kauft frisch gebackenen Rotbarsch mit Kartoffelsalat.
Stefan Raap hält mit seinem Auto neben dem Pfahlewer „Oderik von Oederquart“ an. Gruppen können das Boot für Ausfahrten auf die Elbe buchen. Ebenso wie die Börteboote bei der Werft Hatecke gegenüber, ist auch der Pfahlewer ein Hingucker.
Am Nachmittag setzt der Regen ein, und er wird immer kräftiger. Als Wanderer mag ich keinen Regen. Aus dem Hafenbecken höre ich lautes Gequake. Klar, da machen die Wasservögel ihrem Namen mal wieder alle Ehre. Und es würde mich nicht wundern, wenn Paula mittendrin wäre. Ich muss mir jetzt einen Ort suchen, um meine Geschichte zu schreiben. Paula kann ja nachkommen.
Tag 5: Eine fast echte Burg
Seit Mittwochnacht habe ich ein gespaltenes Verhältnis zu Kirchtürmen. Ich übernachtete im Hotel von Stemm in Bützfleth nahe der Bützflether Kirche. Die zeigte mit lautem Schlagen die Stunden an und überdies die halben Stunden mit einem Schlag. Später einschlafen und eher aufwachen war die Folge. Dabei war ich mit Essen und Unterkunft vollauf zufrieden. Mein Hotelzimmer war im Gästehaus, dem früheren Pferdestall.
Das Landgestüt Celle hatte sich dort vor über 100 Jahren einquartiert, um den Nachwuchs ausgewählter Hengste auf die Welt zu bringen. Gastronom Peter Hass weiß noch mehr über die Geschichte des Hauses zu erzählen, das mal ein landwirtschaftlicher Betrieb war. So kamen früher die Amtsrichter aus Freiburg, um im Gasthaus von Stemm Urteile zu fällen. Ein Gelddieb, ein Hühnerdieb und eine Ehebrecherin wurden an einem Tag verurteilt. Alle erhielten die gleiche Strafe. Sie mussten in Ketten gelegt am Sonntagvormittag, wenn alle zur Kirche gingen, am Schandpfahl vor dem Gasthaus ausharren.
Das Gasthaus erlebte auch die Geburt des Schützenvereins von Bützfleth 1959 mit. Damals gab es bei Abbenfleth ein Bauwerk, das in die Elbe ragte. Dieses wurde im Krieg für die Verladung von Seeminen genutzt, in den 50er-Jahren war auf dem Ponton ein Ausflugslokal – "Klein Helgoland". Das tatsächliche Helgoland war noch gesperrt. Als auf Klein Helgoland die Geschäfte nicht mehr liefen, trat der Schützenverein in Aktion. Die Mitglieder bauten das Lokal mitten auf der Elbe ab und neben dem Gasthaus von Stemm wieder auf. Die Reste der Verladebrücke gibt es heute noch, das Vereinsheim Klein Helgoland auch, aber schicker.
Nachdem Peter Hass das alles erzählt hat, mache ich mich auf den Weg zur Festung Grauerort. Die Festung erfüllt den Tatbestand einer Burg und die suche ich ja in dieser Woche landauf und landab. Vereinsvorsitzender Peter Schneidereit zieht Parallelen. Es gibt einen Graben um die Festung herum und eine dicke Mauer mit Schießscharten, um Angriffe abzuwehren. Ein geschützter Innenhof gibt das Gefühl, sicher zu sein. Tatsächlich ist die Festung vor 140 Jahren direkt an der Elbe als Artilleriefort gebaut worden, um das Landesinnere zu schützen. „Von hier aus ist allerdings niemals ein Schuss abgegeben worden“, sagt Peter Schneidereit. Heute ist die Festung Treffpunkt für Menschen, Kulturstätte und ein Ort zum Feiern. Und damit das so bleibt, muss in den nächsten Jahren das Dach der Festungsanlage saniert werden. Der Vereinsvorstand tüftelt bereits, wie das umzusetzen ist.
Direkt an der Elbe sitzen zwei junge Männer und angeln. Auf Aal und Zander haben es Benjamin und Sascha abgesehen. Bei den dicken Betonpfeilern der Verladebrücke rechnen sie sich gute Chancen aus, einen Zander zu schnappen. Die Idee hört sich plausibel an: Weil kleine Fische Schutz vor der Strömung suchen und der Zander kleine Fische zum Fressen gern hat, könnte ihre Suche nach dem Zander zum Erfolg führen. „Petri heil“, wünsche ich. Diese Zeilen habe ich gerade auf einer Bank unter einem Baum geschrieben, unterbrochen von einem heftigen Schauer. So jetzt kann es weitergehen. Ich liebe Kirchtürme. Bis auf nachts natürlich. Denn auf dem Elbdeich bei Barnkrug kann ich schon den Kirchturm von Assel sehen und da will ich hin. Schritt für Schritt wird er ein wenig größer. Bald bin ich da.
Ich habe mich dafür entschieden, auf dem alten Elbdeich entlang zu gehen. Die Strecke am neuen Elbdeich kenn ich schon – und außerdem fährt da jeder. So biege ich zwischen Barnkrug und Assel nach links ab. Ein Schäfer steckt gerade das neue Gehege für die Tiere ab, die auf dem Deich ein Stückchen weiterziehen. Scheu sind die Tiere nicht gerade, sie gucken sogar in die Kamera.
Der alte Deich verläuft immer in Sichtweite zur Hauptstraße nach Drochtersen, dem Obstmarschenweg. Doch weit genug weg, um die vielen Autos auf der Straße nicht hören zu müssen. Bekanntlich ist die Hauptverkehrsader sehr stark befahren. Vom alten Elbdeich aus erschließt sich ein ganz neuer Blick. Ich schaue auf große gepflegte Gärten, in denen es üppig sprießt. Bauernkaten zeigen sich von ihrer schönen Seite und Richtung Elbe wird die Landschaft immer großflächiger, denn auf dem alten Deich entferne ich mich immer weiter von der Elbe und bei Drochtersen sind es schon gut drei Kilometer Abstand. So viel Platz hatte die Elbe damals, ehe das Schutzbauwerk ihr Halt gebot. Neuer und alter Deich können gar nicht verglichen werden, so unterschiedlich sind sie. Und es ist von den Menschen direkt am Deich ziemlich zuversichtlich gewesen, auf den Schutz zu vertrauen. Der Asseler Kirchturm liegt schon in der Ferne, da kommen die Windräder bei Drochtersen in den Blick. Und noch ein Stück weiter auch die Kirche. Wieder ein Stück des Weges geschafft. Wie gesagt: Ich liebe Kirchtürme.
Tag 4: Willi ist wieder allein unterwegs
Achtung plattdeutsch: „Liek ut, nich hin und her, denn kummst am besten dör.“ Heißt übersetzt: „Geradeaus, nicht hin und her, dann kommst Du am besten durch“. Der Spruch, der in einen Fachwerkbalken eines Hauses geschnitzt steht, ist ein richtig guter Ratschalg für Wanderer. Leider kann ich ihn nicht befolgen, denn meine Burgenroute führt mich oft im Zickzack durch den Landkreis.
Meinen vierten Wandertag – von insgesamt sechs – starte ich wieder allein. Paula ist nach ihrem Gastspiel gestern bei der Kinderburg in Horneburg erstmal Richtung Nordsee gestartet – zum Baden. Am heutigen Mittwoch wird es aber auch von oben nass. Drei Tage lang lagen die Wetterfrösche mit ihren Regenprognosen daneben. Heute anscheinend nicht. Es tröpfelt.
Als ich in Hollern-Twielenfleth eintrudel, ist das mit dem Regen schon wieder vorbei. Die Sonne kommt durch. Und als ich die Kirche St. Mauritius betrete, geht sie sogar auf. In doppeltem Sinn. Helmut Krebs, der mich durch die Kirche führt hat recht: Sie gehört zu den schönsten Kirchen weit und breit. Allerdings auch zu den am wenigsten besuchten. Denn St. Mauritius liegt etwas versteckt in zweiter Reihe am Obstmarschenweg. So kommen übers Jahr nur 80 Besucher, in Twielenfleth in Nähe des Deiches, wo die Touristen langkommen, sind es drei Mal so viel.
Dabei hat St. Mauritius neben vielen anderen interessanten Details ein showtechnisches Highlight zu bieten. Kirchenführer Krebs zeigt es: Wenn er die Haube des Taufbeckens anhebt, löst sich ein Engel von der Gewölbedecke und schwebt im Kirchenschiff. Das Show-Element erinnert stark an Helene Fischer, wird hier aber seit Jahrhunderten gepflegt. Noch ein Detail, diesmal babyfreundlich: Unter dem Taufbecken lässt sich ein Feuer entzünden, damit das Taufwasser auch im Winter die richtige Temperatur hat.
Doch eigentlich bin ich wegen des Wehrturms da. Der Turm wurde von den Holländern gebaut, als sie das Land an der Elbe urbar machten und besiedelten. Der Turm wurde im 12 Jahrhundert gebaut, so um 1032, und ist somit das älteste Bauwerk im Alten Land. Wenn die Sturmflut kam oder böse Buben Übles im Sinn hatten, flüchteten die Besiedler in den Turm. Damals war der oben noch offen, damit der Feind sein blaues Wunder erleben konnte.
Ich habe Glück, dass ich all das erfahren kann, denn geöffnet ist die Kirche für Besucher mittwochs und sonnabends, nachmittags ab 15 Uhr. Als ich ankomme, ist Helmut Krebs gerade dabei, den Rasen an der Kirche zu mähen. Der sachkundige Kirchenführer ist auch der Gärtner.
Bevor ich auf dem Elbdeich beim Fährhaus Twielenfleth ankomme, treffe ich noch auf einen Verkaufswagen der Bäckerei Pfeiffer. Waltraut Behm und Rosemarie Grosswendt sind froh, dass der Bäcker auch ihre Straße aufsucht und Brot, Brötchen und Kuchen anbietet. Tochter Nazli begleitet ihre Mutter Mesküre Algün auf der Belieferungstour.
Am Fährhaus Twielenfleth ist tüchtig was los. Ein Dutzend Wohnmobile stehen an der Elbe und genießen den Ausblick und gerade kommt ein Bus über den Deich. „Wir kommen aus Lindau am Bodensee, falls Ihnen das was sagt.“ Ach soo. Wahrscheinlich eine tolle Burgengegend.
Ich wandere auf dem Elbdeich entlang Richtung Schwinge und genieße mit vielen anderen Schaulustigen den Blick über die Elbe und auf die großen Pötte. Unglaublich, dass die Menschen hier vor 1000 Jahren fast ohne Aufwand zum anderen Ufer kamen. Mit kleinen Booten oder sogar nur Leitern. Ich bin auf dem Weg nach Bützfleth, wo ich auch übernachten werde. Denn dort steht die Festung Grauerort. An der Klappbrücke geht es über die Schwinge und weil es auf dem Obstmarschenweg so laut ist, am alten Elbdeich entlang nach Bützfleth.
Ein Blick zum Himmel sagt mir, dass ich mich beeilen muss. Denn es braut sich was zusammen. Kaum erreiche ich den Ort, fängt es an zu tröpfeln. Schnell in den Döner-Imbiss und da fängt es auch schon an, wie aus Eimern zu schütten. Die armen Radfahrer, die jetzt noch unterwegs sind. Begegnet bin ich nämlich vielen.
Den Jungschützen, die die Hauptstraße in Bützfleth entlang ziehen, macht der Regen anscheinend nichts aus. Sie sind dabei, den Ort zu schmücken. Über drei Dutzend Fahnen und Girlanden hängen Celine, Patrick, Alexandra, Thomas, Maren und Janine in den Straßen auf, damit jeder merkt, dass etwas Besonderes bevorsteht: Das Schützenfest, das ab dem 16. August Schwung in den Ort bringt.
An der Bützflether Hauptstraße, beim Kreisel mit der Lorenbahn, wurde eine Radwanderhütte aufgebaut. Wer dort Halt macht, erfährt auch etwas über die Geschichte Bützfleths. Es gab 1850 27 Ziegeleien in Bützfleth, die nach dem Hamburger Stadtbrand von 1842 ebenso wie die Ziegeleien in Kehdingen Hochkonjunktur hatten. Damals kamen die Saisonarbeiter aus Lippe. Das Geschäft begann dann immer stärker zu schwächeln, vor 100 Jahren erschien der Kalksandstein als Konkurrent auf dem Markt und letztlich stellten die Bützflether Ziegeleien ihre Produktion 1968 komplett ein. Daran erinnern auf dem Kreisel Feldbahn und Lore.
Zum Glück stimmen die Wettervorhersagen nicht. Es sollte jeden Tag Regen geben, aber das bisschen, was ich bisher abbekommen habe, war nicht der Rede wert. In Estebrügge musste ich am Montagnachmittag für eine Viertelstunde den Schirm aufspannen. Als ich in Jork eintraf, gab es schon nicht mal mehr Pfützen. Leider war das erste Hotel am Platze ausgebucht und die nächste Adresse passte auch nicht. Aber wozu habe ich Bekannte. So wurde ich ohne viel Aufhebens auf dem Sofa untergebracht. „Aber nicht, dass Du darüber schreibst.“ Nee, Malle, mach ich nicht.
Mein dritter Wandertag durch das hiesige Land der Burgen führt mich aus dem Alten Land wieder Richtung Geest. Das nächste Ziel ist Horneburg. Dort, wo noch an den sagenumwobenen Isern Hinnerk erinnert wird. Und das aus gutem Grund. Sein Name ist eng mit dem Bau der Burg verbunden. Sie wurde 1255 als Fluchtburg erbaut. Immer, wenn von außen Unheil herannahte, zogen sich die Menschen dorthin zurück, um sich zu schützen und dem Feind Paroli zu bieten.
Stets in Rüstung: Isern Hinnerk
Auf alten Zeichnungen und einem Relief, das Schüler hergestellt haben, ist der Aufbau der Burg deutlich zu sehen. Es gibt einen Wall und eine aufwendige Burggrabenanlage, zwei Zugbrücken und ein Torhaus, von dessen Dach aus heißes Pech auf die Angreifer gekippt wurde. Das nenn´ ich mal eine Burg.
Allerdings weist Peter Ahrens, Kenner der Horneburger Geschichte darauf hin, dass die Historie des Ortes schlecht überliefert sei. Vieles auf Sagen-Ebene, womit wir beim Isern Hinnerk wären. Innerhalb des Vorburggeländes lebten die Burgmannsfamilien, quasi Angestellte des Erzbischofs von Bremen, die Land und Leute verwalteten. Einer von ihnen ging als Isern Hinnerk in die Geschichte ein, der seinen Namen erhielt, weil er kaum aus seiner Rüstung stieg.
Hinnerk von der Borg war nicht damit einverstanden, dass der Papst den Dänen Jonas zum Erzbischof ernannte hatte. Darum fing er an, Kirchen und Klöster zu plündern und schonte auch nicht Mönche und Nonnen, heißt es. Es dauerte Jahre, bis der Plagegeist gefangen war. Nach fünfjähriger harter Gefangenschaft wurde er entlassen und starb kurz darauf. Sagen zufolge findet er bis heute keine Ruhe und reitet auf einem weißen Ross durch die Gegend. Schön schaurig.
Bevor ich auf dem Elbdeich beim Fährhaus Twielenfleth ankomme, treffe ich noch auf einen Verkaufswagen der Bäckerei Pfeiffer. Waltraut Behm und Rosemarie Grosswendt sind froh, dass der Bäcker auch ihre Straße aufsucht und Brot, Brötchen und Kuchen anbietet. Tochter Nazli begleitet ihre Mutter Mesküre Algün auf der Belieferungstour.
Lustig und beschwingt geht es beim Besuch der nächsten Burg zu – die Kinderburg an der Grundschule in Horneburg. Die Kinder haben mich eingeladen, sie mal zu besuchen – und natürlich soll ich meine Zeitungsente Paula mitbringen. Die geht zwar mitunter ihre eigenen Wege, aber als sie von der Einladung erfährt, ist sie nicht mehr zu halten. Als ich gegen Mittag an der Schule eintreffe, ist auch Paula da. Punktlandung sozusagen.
Die Kinder haben sich für uns ganz viel Mühe gegeben. Burgschilder wurden gemalt, damit wir den Weg finden und oben im Flur, der zu den großen Gruppenräumen führt, steht die Kinderburg. Ein Foto zur Erinnerung ist Pflicht. „Tschüss, bis bald, Paula“, heißt es beim Abschied.
Noch ein Kurzkommentar zu Horneburg: Das Zentrum hat sich deutlich sichtbar gemacht. Und es gibt sogar ein üppiges Mittagsangebot, was außerhalb der Städte nicht mehr selbstverständlich ist.
Natürlich habe ich auch im Handwerksmuseum auf dem Burggelände reingeschaut. Dort sind Mittelalter und Ritterzeit greifbar, ebenso altehrwürdige Handwerkstechniken. Helmut Schering zeigt das Drechseln, so wie es vor allem mit Schulkindern gemacht wird. Daneben gibt es noch den Schmiedebereich und eine Werkstatt für Lederarbeiten. Helmut Schering und Peter Ahrens gehören zu den Gründungsvätern des Museums, das durch viele Ehrenamtliche am Laufen gehalten wird. Apropos am Laufen: Ich muss weiter.
Wandern, zumal, wenn es durch die Natur führen soll, ist so eine Sache. Von Horneburg aus führt eigentlich ein ganz schöner Weg nach Dollern und weiter nach Agathenburg. Doch linker Hand erinnert einen der Zugverkehr an die Zivilisation und rechter Hand die Autobahn, die mal mehr, mal weniger sichtbar ist. Dazu kommen derzeit die Arbeiten an den Hochspannungsleitungen. Wie lange Fäden hängen die über dem Land. Natur geht irgendwie anders.
Zwischenzeitlich habe ich noch eine Einladung zur „Königsburg“ bekommen. Tja, kannte ich auch noch nicht. Der Spielmannszug Harsefeld feiert diese Königsburg zu Ehren des Musikkönigs. Ein Überbleibsel aus der Zeit, als die Musikanten noch zu den Schützen gehörten und ihre Majestäten ausschossen. Die Königsburg ist der feierliche Höhepunkt des Jahres, zu der alle Freunde des Spielmannszuges eingeladen sind – am 15. August ab 16 Uhr in Ahlerstedt. Aber da werde ich nicht mehr auf Wanderschaft sein.
Jetzt das Ortsschild Agathenburg – das hört sich schon mal vielversprechend an. Ist es bei genauem Hinsehen aber nicht. Zwar bekam der Ort Lieth den Namen Agathenburg verpasst, als Hans Christoph von Königsmarck gleich nach dem Dreißigjährigen Krieg 1655 das Schloss für seine Agathe bauen ließ, aber ein Schloss ist nun mal ein Schloss und keine Burg. Das macht Schlossherrin Dr. Bettina Roggmann deutlich.
Mit einem schönen Garten (auf der anderen Seite der Bahn) und Stallungen gab es alles, was ein Schloss brauchte. Aber es gab keinen Wassergraben, keine Zugbrücken und Mauern und außerdem hatte eine moderne Kriegsführung das Zeitalter der Burgen besiegelt. Das Schloss, das vor 100 Jahren ziemlich gänzlich niederbrannte, hat Ursprüngliches nur noch im Keller zu bieten. Die Gewölbe zeigt Bettina Roggmann gerne. Beliebt ist der Schlossbesuch auch, weil es jeden Tag (außer montags) leckeren Kuchen gibt.
Wo ich schon mal da bin, gehe ich im Dorf noch ein bisschen auf und ab. Klaus-Dieter Martens ist Hausmeister des Kindergartens Wichtelburg und pflastert gerade den uneben gewordenen Eingangsbereich. So habe ich in Agathenburg doch noch eine richtige Burg gefunden.
Mein zweiter Wandertag durch das Burgenland – wie bereits erwähnt, durchstreife ich den Landkreis und ziehe von Burg zu Burg – beginnt mit einem supertollen Frühstück. Übernachtet habe ich in der Pension von Franziska Felsch in Buxtehude. Sie bietet Wanderern, Pilgern, Radreisenden und allen möglichen Besuchern der Hansestadt ihre komfortablen und liebevoll eingerichteten Zimmer an. Mit Frühstück, wenn gewünscht. Was Besseres kann mir gar nicht passieren. Franziska Felsch hat für mich sogar extra Apfelsaft frisch gepresst.
Nach dem guten Start muss ich gleich einen Rückschlag hinnehmen. Die Brillenburg in Buxtehude existiert nicht mehr. Nichts ist von ihr übrig geblieben. Nur eine Geschichte: und der Brillenburgsweg. Die Geschichte geht ungefähr so: Um 1830 lebte ein Mann in den Burggemäuern, der eine Frau hatte. Erst stürzte sie ihn in den Keller, was nicht den erwünschten Tod herbeiführte. Dann vergiftete sie ihn. Das gelang. Als Strafe dafür wurde sie 1840 in Harsefeld enthauptet. Die Burg wurde Werk-und Armenhaus. Der Missionar, der einzog, ließ die Keller zumauern. Als Grund gab er an, nachts spuke es, weil Malene umgehe.
Als ich auf meinem weiteren Weg Richtung Altes Land durch die Lange Straße gehe, fällt mir das Spielwarengeschäft Spiel und Sport auf. Da ich mich kaum noch daran erinnern kann, wie eine Burg wirklich aussieht, versuche ich mein Glück. Es klappt. Britta Behrens hat ein paar Burgen da. Die schönste Ritterburg zeigt sie mir. Ja, das waren Zeiten.
Ich wandere aus der Innenstadt von Buxtehude Richtung Altes Land. Noch bin ich frisch und daher interessieren mich auch die Mitfahrbänke nicht. Den Zwinger als letzten übrig gebliebenen Teil der Stadtmauer lasse ich links liegen. Auch wenn viel Kunst drin ist, so bietet er zu wenig Burg-Feeling.
Auf dem Estedeich gehe ich Richtung Moorende. Links die Este mit den großen Schilfflächen, rechts Wiesen – es sieht herrlich aus und erfreut das Wandererherz. Aber nicht lange. Dann liegen dicke Sanddämme wie eine hässliche gelbe Krake auf dem Land. Lastwagen fahren in der Ferne immer neue Massen heran. Das wird hier mal die A 26 sein, die uns aus dem Landkreis schnell nach Hamburg bringt
In Moorende geschieht auf dem Deich Seltsames. Überall wo ein Hundehaufen liegt, wurde ein Fähnchen gleich neben dem Kothaufen in den Deich gepiekt. Anscheinend kommen hier ganz schön viele Hunde entlang, denn es stecken ganz schön viele Fähnchen im Gras.
Auf dem Estedeich in Moorende steht ein schönes Haus. Der Bewohner, Konrad Schittek, hat ein Herz für Wanderer, denn im Schaukasten an der Hauswand macht er mich darauf aufmerksam, wie wie nah Estebrügge ist: noch 19 Minuten. Wer möchte, darf bei ihm klingeln, denn Schittek verkauft auch die 30-seitige Has und Igel-Geschichte und hat den Este-Atlas im Angebot. Leider ist der umtriebige Heimatforscher gerade nicht da, aber Haushüterin Melanie Michel gibt dem vorbeieilenden Wanderer Auskunft.
Nun ist es nicht mehr weit und als ich um die nächste Deichkurve komme, liegt sie vor mir: die Esteburg. Ich betone ...burg. Und Esteburg steht auch ganz groß an der Einfahrt zur Allee.
Annegret und Hans-Otto Ehlers bewohnen das altehrwürdige Gebäude. Sie würden es genau genommen als herrschaftliches Haus mit burgähnlichem Charakter beschreiben. Genau so ein Haus wollte der Erbauer, Baron von Schulte, vor 400 Jahren auch bauen. Es gibt einen Burggraben, der mit dem Wasser der Este gespeist wird. Es gibt ein Torhaus. Zwei Ritter bewachen den Eingang.
Im Inneren gibt es drei Rittersäle und wer sich die Fassade genau anschaut, entdeckt Schießscharten, aus denen stilisierte Kanonenrohre herausragen. Unter der, ja sagen wir ruhig Burg, soll es einen Tunnel geben, der unter der Este hindurch bis zur Kirche führt. Ob es den tatsächlich so gibt, da sind sich Annegret und Hans-Otto Ehlers nicht ganz sicher. Auch die Schießscharten haben sie sich genau angeschaut – und bezweifeln, dass sie jemals benutzt wurden.
Das Ehepaar Ehlers saniert und restauriert seine Burg seit über 35 Jahren. Stück für Stück, mit eigenen Mitteln. Immer wieder kommt da der Gedanke auf, dass das Objekt ein Fass ohne Boden ist, aber mit viel Einsatz und Liebe zum Detail ist die Burg jetzt in einem Zustand wie in ihrer ganzen Geschichte nicht. Und sie erlebte in den vergangenen Jahrzehnten kein herrschaftliches, sondern ein ganz normales Familienleben mit Partys und Hochzeitsfeiern. „Es ist etwas ganz Besonderes, hier zu wohnen“, sagt Hans-Otto Ehlers, der Schulleiter in Horneburg ist. Und Annegret Ehlers, deren Vorfahren vor gut 100 Jahren die Esteburg kaufte, pflichtet ihrem Mann bei.
Es geht auf den späten Nachmittag zu, der Text muss geschrieben werden. Der Regen ist zum Glück vorbei. Daher brauche ich für meine Büroarbeit kein festes Dach überm Kopf. Eine trockene Bank tut's auch.
Meine Wanderung durch das Burgenland startet am Sonntagvormittag reibungslos. Ich habe mir Moisburg ausgesucht, da dort viel Burg zusammenkommt. Denn Moisburg liegt im Landkreis Harburg und hatte vor Jahrhunderten mal eine Wasserburg, die ihre Bewohner vor den Soldaten des Erzbistums Bremen geschützt hat. Mehr Burg geht fast gar nicht.
Außerdem dachte ich mir, ich könnte auch mal über den Tellerrand schauen und in den Nachbarkreis meine Fühler ausstrecken. Auch, wenn das auf meiner Wanderkarte nur zwei Zentimeter sind.
Die Wasserburg stand dort, wo jetzt an der Hauptstraße das Amtshaus steht. Nur die Mauern des Kellergewölbes sind noch original. Oben wurden die Felssteine abgetragen, aus ihnen die Hollenstedter Kirche aufgebaut. Das alles erzählt mir Margarete Otten, die die Gäste des Ortes über die Geschichte des Amtes Moisburg aufklärt.
Das Prachtstück des Ortes ist dir Kirche, ein echtes Schatzkästlein, sagt Margarete Otten. Allein die Malereien an der Decke und den Wänden – eine Pracht. Dass die noch so gut erhalten sind, liegt schlicht und ergreifend daran, dass Moisburg über viele Jahrhunderte eher arm war und sich niemand die Farben leisten konnte, um die Kirche zu sanieren. Dann wäre wohl einiges übergetüncht worden.
Aber Moisburg hatte auch gute Zeiten. Als die Wassermühle noch ihren Dienst tat. Weil alle Bauern aus den 41 Dörfern ringsherum dort mahlen lassen mussten, siedelten sich auch viele Handwerker an, die den auf ihr Mehl wartenden Bauern gleich die Schuhe neu besohlten. Die Mühle ist heute Museum und gehört zum Kiekeberg. Sonntags ist Mahltag und da können Interessierte dem Müller über die Schulter schauen.
Meine Wanderung führt mich gen Daensen. Das ist nur zwei Kilometer weiter Richtung Buxtehude, aber nun hat mich der Landkreis Stade wieder. Die Golfer sind unterwegs. Auch Dr. Lothar Beyer und Ehefrau Margret haben sich bereit gemacht. Sie wollen auf eine viereinhalbstündige Golftour über 18 Löcher gehen. „Der Platz ist so natürlich und schön, dass uns dort nie langweilig wird“, schwärmt Margret Beyer.
Das Ehepaar spielt seit 32 Jahren im Golfclub. Damit gehören sie zu den ersten Mitgliedern. Ihr Handicap kann sich sehen lassen. Es liegt bei 19,7 für Lothar Beyer und bei 22,9 für Margret Beyer. „Damit fallen wir auf keinem Golfplatz der Welt unangenehm auf.“ - So geht Understatement. Gut zehn Kilometer legen sie beim Golfen zurück. Das kann sich doch sehen lassen.
Jörg Nestler hat sich noch ein bisschen mehr vorgenommen. Als ich bei Pippensen auf einer einfachen Holzbank Platz nehme und ins schöne Estetal schaue, kommt er des Weges. Er wandert wohin ihn seine Wander-App führt. Der Hamburger ist in Buxtehude aus dem Zug gestiegen und geht den Estetalwanderweg entlang. Bei Heimbruch überquert er die Este und geht zurück zum Bahnhof.
Mir weist nicht die App den Weg, sondern meine Wanderkarte, die mir aufzeigt, dass es hinter Heimbruch gleich die „alte Burg“ gibt. Mir wurde zwar schon bedeutet, dass die Burg nur in Erzählungen existiert, aber die Karte weist sie nun mal aus. Also nichts wie hin. Burgwall steht auf einem Wegweiser und die Spannung steigt. Dann geht es steil bergauf, dann geht es steil bergab – und irgendwo dazwischen muss die Burg gewesen sein. Nur wo? Ich gehe nochmal zurück und versuche mein Glück aus Neue. Wieder nichts. Das muss ich wohl noch mal in Ruhe nachlesen.
Nichts zu meckern
Auch ohne Burgerlebnis bin ich mit der Wanderung durchs Estetal zufrieden. Ein durch und durch natürlich anmutender Weg, vielleicht manchmal etwas zugewachsen, aber damit kommen die Spaziergänger und die Radfahrer, die mir begegnen zurecht. Da will ich mal nicht meckern.
Meinen ersten Wandertag beschließe ich in Buxtehudes Süden. Dass mein zweites Burgerlebnis nicht so prickelnd war, macht mir schon nichts mehr aus. Denn gerade bekomme ich eine Mail, In der werde ich eingeladen die Kinderburg in Horneburg zu besuchen. Da freue ich schon drauf. Mal eine richtige existierende Burg.
Produktion: Alexander Schulz & Janine Vonderbank