Bombenhagel und Feuersturm in Pforzheim

Wie Pforzheim am 23. Februar 1945 zerstört wurde - eine Chronologie

Pforzheimer Zeitung
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auf 20. Feb. 2020
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Die tragischen Momente vom 22. bis 24. Februar 1945

22. Februar 1945, 13 Uhr

22. Februar 1945, 13 Uhr say

In diesen Minuten startet die Operation „Clarion“ offiziell: Über 8000 Bomber und Jagdflugzeuge der amerikanischen Army Air Force und der britischen Royal Air Force (RAF) sollen am 22. und 23. Februar 1945 über 100 Ziele in Deutschland und Österreich angreifen. Die Aktion hat sowohl taktische als auch psychologische Ziele: Zum einen sollen die Verkehrsnetze weiter zerstört, zum anderen die Stärke der alliierten Luftstreitkräfte verdeutlicht werden.
In Pforzheim gibt es keine kriegsentscheidende, sondern lediglich sogenannte kriegsrelevante Ziele. Auf Prioritätslisten der Alliierten ist die Stadt daher recht weit unten angesiedelt. Truppenverlegungen werden über Pforzheims Bahnhof abgewickelt, zudem haben Teile der Pforzheimer Schmuckindustrie ihre Produktion während des Krieges auf Zünder und Munition umgestellt.

23. Februar 1945, am Morgen

23. Februar 1945, am Morgen say

Der Meteorologe der britischen Royal Air Force (RAF) sagt für die Abendstunden voraus, dass es über dem Ruhrgebiet und Mitteldeutschland bewölkt sein soll. Das spricht gegen die dortigen Ziele. Im Südwesten soll der Himmel dagegen klar werden.
Im englischen High Wycombe, im Hauptquartier des „Bomber Command“ der Royal Air Force, befiehlt Luftmarschall Arthur Harris: Der Hauptangriff gilt Pforzheim, ein kleiner Angriff gilt Berlin, zudem sollen im norwegischen Horten die U-Boot-Anlagen angegriffen werden.

23. Februar 1945, vormittags

23. Februar 1945, vormittags say

Es gibt mehrere Fliegeralarme in Pforzheimy, doch nichts passiert. Um 11.45 Uhr ist das laute Brummen von Fliegern zu hören. Einzelne Maschinen kreisen niedrig über der Stadt – so ist es in den Anweisungen der Operation „Clarion“ angegeben. Wieder heulen die Sirenen. Bis um 14.10 Uhr geht der Alarm, Bomben fallen aber keine.

23. Februar 1945, 17 Uhr

23. Februar 1945, 17 Uhr say

Die Bomberflotte überquert den Ärmelkanal. An Bord haben sie 731 Tonnen hochexplosive Bomben (706 Stück, 225 bis 1800 Kilo schwer) und 820 Tonnen Brandbomben (448.672 Stück). Unter den 379 Flugzeugen sind auch Flieger, die nur zum filmen oder zur Beobachtung des Wetters eingesetzt werden. Eine solch große Zahl an Bomben passte in die Flieger, weil die meisten davon sechseckige Stabbrandbomben sind. Ihr Durchmesser beträgt nur 4 Zentimeter, sie sind 1,8 Kilogramm leicht.

23. Februar 1945, 19.42 Uhr

23. Februar 1945, 19.42 Uhr say

Mosquito-Pilot Adams funkt an Master Bomber Swales: "Über dem Ziel: Mond dreiviertel voll, klar, keine Wolkenbänke, leichter Bodennebel. Sicht gut. Alles in Ordnung – viel Glück."
Zuvor hatten die Menschen in Pforzheim den Radio-Durchsagen gelauscht. Dort wurde ein kleiner Bomberverband über Rastatt in östlicher Richtung gemeldet. Manche Pforzheimer befürchten, dass sie das Ziel sein könnten. Sie suchen sich Schutzräume.

3. Februar 1945, 19.48 Uhr

3. Februar 1945, 19.48 Uhr say

Erst jetzt wird in Pforzheim Fliegeralarm ausgelöst. Das laute Signal bedeutet: „Akute Luftgefahr.“ Im nächsten Moment sind laute Motorgeräusche zu hören. Viele Bewohner erschrecken, hetzen in Luftschutzräume – und plötzlich sind auch die ersten Flieger über der Stadt zu sehen.
Zwei mInuten später meldet der deutsche Flugmeldedienst: "500 schwere Bomber". Noch einmal zwei Minuten später werfen sechs Mosquitos über Pforzheim 24 rote Markierungen ab. Ihr Ziel ist der Marktplatz. Pfadfinder-Lancaster werfen nun Leuchtbomben ab. Diese sogenannten „Christbäume“ erhellen das Zielgebiet: grün für das Zielgebiet, gelb und weiß für den Bereich außen herum.

23. Februar 1945, 19.54 Uhr

23. Februar 1945, 19.54 Uhr say

Im Stadtzentrum ist Panik ausgebrochen. Bewohner versuchen, noch irgendwie zu entkommen. Aber um 19.54 Uhr fällt die erste Sprengbombe aufs Areal des Gaswerkgeländes. Sekunden später folgen Sprengbomben und Luftminen an vielen anderen Orten in der Stadt. Sie reißen Häuser auf und schaffen in der dicht bebauten Innenstadt Nischen und Zugluft. Der Sauerstoff nährt noch größere Feuer.
„Fangt an“ funkt Captain Swales um 19.58 Uhr an die Lancaster-Bomber – der Hauptangriff beginnt. 90 Bomber werfen in der ersten Angriffswelle Minen, Spreng- und Brandbomben. "Heftiger Feuerbrand im Gebiet des Zusammenflusses der beiden Wasserläufe", funkt ein Pilot. Wahrscheinlich meint er die Au.

23. Februar 1945, 20 Uhr

23. Februar 1945, 20 Uhr say

In den Schutzräumen herrscht Angst. Eine Flut von Einschlägen ist zu hören, das Licht geht aus, Glas klirrt, Decken brechen ein. In der Wimpfener Straße werden die Menschen beispielsweise „überschüttet von einem Hagel von Steinen, Staub, Qualm, Ruß und Sand. Und immer über und um uns das rasende Knallen und Knattern der Einschläge“, erinnert sich Johanna Stöber im Buch „Untergang einer Stadt“.
Die engen Gassen in der Innenstadt und der Au gleichen einem Feuermeer, während die dritte Angriffswelle läuft. Die Flächenbrände steigern sich zum Feuersturm, der nun seinen Höhepunkt erreicht. Der Himmel ist blutrot gefärbt.
Es wird heißer und heißer. Brennendes Phosphor fließt in manche Keller. Die Menschen sind gezwungen, aus ihnen zu fliehen – sie müssen raus, ins Inferno.
Tausende Häuser sind geborsten, Tausende Menschen liegen unter Schutt begraben. Sie spüren die drückende Last und eine unerträgliche Hitze. Schreie sind zu hören, aber noch lauter ist das Heulen des Feuerorkans und das Pfeifen und Krachen herumfliegender Splitter und Trümmer.

23. Februar 1945, 20.05 Uhr

23. Februar 1945, 20.05 Uhr say

Funkspruch eines Lancaster-Piloten: "Man kann die ganze Stadt ganz einfach abschreiben." Zeitgleich wird eine andere Lancaster von einem deutschen Nachtjäger abgeschossen.
Ein Bombenteppich liegt über Pforzheim. Giftiger Qualm legt sich auf die Atemwege vieler Einwohner.Der Rauch ist so dicht, dass die rund 100 Maschinen der vierten und letzten Welle nicht mehr erkennen, wohin genau sie ihre Bomben werfen.
Das Nonnenmühlwehr ist beschädigt, entlang der Arkaden bahnt sich die Enz ihren Weg. Viele Menschen ertrinken dort, sie schreien um Hilfe. Doch niemand hört sie. Ähnlich ergeht es vielen in Kellern der Zerrennerstraße und am Waisenhausplatz, wo der Mühlkanal und ein Vorflutkanal brechen. Auch im Ufa-Keller ertrinken die Fluchtsuchenden.

23. Februar 1945, 20.35 Uhr

23. Februar 1945, 20.35 Uhr say

Die letzten der 448.000 Stabbrandbomben und eine 4000-Pfund-Luftmine werden abgeworfen. Der Feuerschein ist noch auf 200 Kilometer Entfernung zu sehen, die Rauchsäule ist bis zu 3000 Meter hoch.
Fünf Minuten später ist die Bombardierung vorbei, doch noch immer explodieren Bomben in der Innenstadt. 38.579 sind mit einem Zeitzünder versehen: Die meisten zünden drei bis acht Minuten nach dem Abwurf, meterlange Stichflammen entstehen.
Weiterhin erschüttern Explosionen die Stadt. Daher trauen sich viele Pforzheimer noch nicht aus ihren Kellern. Aber manchen bleibt nur die entsetzliche Wahl, wie sie sterben wollen: In den Kellern geht der Sauerstoff aus, viele ersticken. Doch vor den Kellern wüten Feuerglutwellen.

23. Fabruar 1945, 20.25 Uhr

23. Fabruar 1945, 20.25 Uhr say

Wer nahe der Flüsse überlebt hat, versucht, ins Wasser zu fliehen. Aus den brennenden Häusern an der Roßbrücke springen die Menschen in die Enz, auch die Nagold wird für manche zur Rettung. Doch zwischen den Geretteten treiben auch viele Leichen in den Gewässern. Denn ins Wasser fließt brennendes Phosphor.
Eine Viertelstunde später harren noch immer viele Pforzheimer in ihren Bunkern aus. Manche haben Teppiche und Bettzeug zum Schutz vor herabfallenden Trümmern über den Kopf gezogen. Doch das Feuer entzieht der Luft immer mehr Sauerstoff. Schutzräume werden so zur Todesfalle.
Vom Gaswerk bis über das Osterfeld hinaus ist die Stadt auf einer Fläche von drei Kilometern in Ost-West-Richtung und auf eineinhalb Kilometern in Nord-Süd-Richtung zerstört. Mehr als 1500 Tonnen an Luftminen, Spreng- und Brandbomben wurden abgeworfen.
Der Feuersturm ist so stark, dass er Briefbögen eines Pforzheimer Arztes bis nach Stuttgart-Degerloch und Zuffenhausen weht.

23. Februar 1945, 20.35 Uhr

23. Februar 1945, 20.35 Uhr say

Fast alle wichtigen Firmen, Geschäfte und Lokale sind zerstört. Vom Bohnenberger Schlößle steht nur noch ein kleiner Rest, in einem öffentlichen Luftschutzkeller darunter liegen die Leichen von Menschen, die Schutz gesucht haben. Sie haben Schaum vor dem Mund. Vor dem Eingang war eine Luftmine geplatzt, der Luftdruck hat alle getötet.
Auch das Feuerwehrhaus am Waisenhausplatz ist zerstört, insgesamt 71 Feuerwehrleute starben.
Wie Thomas Frei im Buch „Pforzheim – Auf dem Weg zur neuen Stadt“ schreibt, können die aus 24 Nachbargemeinden herbeigeeilten Feuerwehren nur am Stadtrand löschen. Sie kommen nicht durch die zwei bis drei Meter hohen Schuttmassen hindurch. Zudem ist die Löschwasserversorgung ausgefallen, drei Brandweiher sind leergelaufen.
Erfolge gibt es nur wenige: im Osten rettet die Feuerwehr Gaswerkanlagen und im Westen die zum Hauptlazarett umfunktionierte Osterfeldschule vor dem vollständigen Niederbrennen.

23. Februar 1945, 20.35 Uhr

23. Februar 1945, 20.35 Uhr say

Schon jetzt, aber noch bis tief in die Nacht hinein, machen sich Überlebende auf den Weg gen Stadtrand, etwa nach Brötzingen und ins Rodgebiet. Sie haben durchgebrannte Schuhsolen, Wunden am ganzen Körper, einige sind fast blind – aber sie haben überlebt.
Drei von vier Rettungsstellen in der Stadt fallen aus: Nordstadtschule, Museum und Schwarzwaldschule. Nur das Gymnasium blieb erhalten. Dort versorgen anfangs einer, später zwei Ärzte unzählige Verletzte.

23. Februar 19.45 Uhr, 23 Uhr

23. Februar 19.45 Uhr, 23 Uhr say

Master Bomber Swales versucht an der belgisch-französischen Grenze eine Notlandung. Er war um 20.06 Uhr von deutschen Nachtjägern getroffen worden. Seine Crew kann abspringen, er selbst verfängt sich mit seiner Maschine in einer Hochspannungsleitung. Die Lancaster explodiert, Swales stirbt.

23. Februar 1945, 23.02 Uhr

23. Februar 1945, 23.02 Uhr say

Die ersten RAF-Maschinen kommen auf den englischen Flugplätzen an. Bis 1 Uhr schreiben die Crews ihre Eindrücke vom Einsatz nieder.
Noch immer wütet das Feuer in der gesamten Innenstadt.

23. Februar 1945, Mitternacht

23. Februar 1945, Mitternacht say

Erst jetzt wird es in Pforzheim wieder ein wenig leiser: Es sind kaum noch Explosionen zu hören.
In der Nacht auf den 24. Februar erfolgen Vorbereitungen, um im Seehaus eine Großküche in Betrieb nehmen zu können. In Eutingen, Würm, Dietlingen, Büchenbronn, Huchenfeld und Dillweißenstein werden Kochstellen eingerichtet. In den ersten Tagen nach dem Angriff werden so rund 30.000 Menschen versorgt.

24. Februar 1945, 7.30 Uhr

24. Februar 1945, 7.30 Uhr say

Dünner, trüber Sprühregen fällt auf Pforzheim, die Luft schmeckt nach Rauch. Die Menschen klettern über verkohlte Trümmerberge zu den Resten ihrer Häuser.
Beißender Rauch hängt über Pforzheim.
Überlebende kehren in die Innenstadt zurück, suchen Freunde und Verwandte. Doch viele Wege sind von meterhohen, heißen Trümmerbergen versperrt.
Helmut Moessner erinnert sich: „Morgens früh ging ich nach Pforzheim zurück. Beim Messplatz sah ich die ersten Toten liegen. Schrecklich verstümmelt – Menschen, die wie Puppen zusammengeschrumpft waren. Eine Mutter, die ihr Kind noch schützend im Arm hielt – beide halbverbrannt – ein Albtraum.“
In Karlsruhe lesen Menschen in der Tageszeitung „Der Führer“ den lapidaren Hinweis: „In den frühen Abendstunden richtete sich ein schwerer britischer Angriff gegen Pforzheim.“ Negativberichte sind unerwünscht, Durchhalteparolen werden ausführlich gedruckt.

24. Februar 1945, 10.30 Uhr

24. Februar 1945, 10.30 Uhr say

Inzwischen sind militärische Rettungsmannschaften in die Innenstadt vorgedrungen. Sie transportieren die ersten Schwerverletzten ab.
Eine halbe Stunde später wird in der Buckenberg-Kaserne auf die Schnelle ein Verbandsplatz eingerichtet. Helfer bringen blutverschmierte Verletzte. Es werden immer mehr.
Viele Menschen sind ins Umland geflohen, nur noch rund 30.000 sind in der Stadt. Im Verwaltungsbericht der Stadt Pforzheim heißt es: "Die Überlebenden fanden in den erhalten gebliebenen Randbezirken der Stadt, in Baracken und Gartenhäuschen ein behelfsmäßiges, ja vielfach menschenunwürdiges Unterkommen. Aber auch in den Ortschaften der Landkreise Pforzheim, Vaihingen und Calw suchten viele Ausgebombte ein Obdach."

24. Februar 1945 Uhr, Mittag

24. Februar 1945 Uhr, Mittag say

Zur Mittagszeit kreisen erneut Flieger, es sind Jagdbomber, über der Stadt. Einen Alarm gibt es nicht. Denn alle Sirenen sind zerstört.
Inzwischen ist klar: Die Innenstadt von Pforzheim ist zum Massengrab geworden.
Alleine in einem Keller am Schloßberg gibt es 900 Tote, im Restaurant „Zum Beckh“ am Marktplatz sind etwa 400 ums Leben gekommen.
Es dauert Wochen, teils Monate und sogar Jahre, bis in Pforzheim alle Toten geborgen sind. 17.600 Getötete sind es in dieser Nacht mindestens, vermutlich noch mehr. Mehr als 30 Prozent der Pforzheimer Bevölkerung sind bei Kriegsende tot. Von manchen findet man nur noch die Knochenreste, Asche – oder überhaupt nichts mehr.
98 Prozent der Innenstadt sind zerstört, von ganz Pforzheim sind es 67,5 Prozent. Darunter fast alle historischen Gebäude wie die Schloßkirche, die Barfüßerkirche, die Altstädter Kirche, das Rathaus und die Hauptpost.

Die schreckliche Bilanz des 2. Weltkriegs

Zweieinhalb Monate nach der Bombardierung Pforzheims – am 8. Mai 1945 – endet der von Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg mit der Kapitulation Hitlerdeutschlands. 110 Millionen Soldaten hatten gekämpft, 60 bis 70 Millionen Menschen sind gestorben. Mehr als die Hälfte der Toten sind Zivilisten, darunter rund 1,2 Millionen Deutsche, 5,7 Millionen Polen und 14 Millionen Sowjetbürger. Rund sechs Millionen Juden sind in der Shoah durch das Deutsche Reich systematisch ermordet worden. Sechs Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 liegt Europa in Trümmern. Auch deswegen sollte die Zerstörung Pforzheims vor 73 Jahren nicht nur schmerzvolle Erinnerung, sondern auch Mahnung und Lehre sein.
Quellen der Einträge waren neben vielen Augenzeugenberichten das Archiv der „Pforzheimer Zeitung“, die Bücher „Code Yellowfin“, „Pforzheim – Auf dem Weg zur neuen Stadt“ und „Der Untergang einer Stadt“ sowie die Verwaltungsberichte der Stadt Pforzheim aus den Nachkriegsjahren. (Autor: Simon Walter. Mitarbeit: Julia Falk, Thomas Frei und Stefan Dworschak, Playbuzz: Thomas Kurtz)

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Created by Tal Garner
On Nov 18, 2021