Tatorte: Feuertod in Frankreich
Tatorte: Feuertod in Frankreich

Die Schuhe stehen noch unter dem Vordach. Als hätte sie gerade jemand ausgezogen. Die Haustür dahinter führt ins Unglück. Der verrußte Giebel des Wohnhauses ist eingestürzt. Balken liegen quer. Unkraut überwuchert einen Schuttberg, den die Ermittler auf dem Hof aufgeschichtet hatten.
Mit diesem Bild sucht die Polizei europaweit nach Elisabeth Hömke. Wer hat Hinweise zu ihr oder ihrem Lebensgefährten Eitel Brandenburg. Wem ist im Gespräch mit dem Paar etwas aufgefallen, was auf ein Verbrechen hindeuten könnte? Die deutsche Polizei nimmt in jeder Dienststelle oder unter der Nummer 110 Hinweise entgegen. Foto: Gendarmerie National
Le Rompay heißt der einsame Hof im 120-Seelen-Dorf Saint Georges de la Couée, gut zweieinhalb Autostunden südlich von Paris. Hier ging vor knapp zwei Jahren der Lebenstraum eines deutschen Auswandererpaares in Flammen auf.
Die Ermittler fanden in der Ruine die völlig verbrannte Leiche von Eitel Brandenburg. Von seiner Lebensgefährtin Elisabeth Hömke fehlt bis heute jede Spur. Nun gibt es Zweifel, dass die französische Polizei alles getan hat, um den Fall zu lösen. Der Fall bewegt französische Nachbarn und Freunde in der alten Heimat in Menden.
Rückblick auf den 4. Februar 2016
Der Brand auf dem abgelegenen Hof bleibt zunächst über Stunden unentdeckt. Ein Landwirt wird stutzig, weil sein Strom nicht fließt. Als er seiner Überland-Leitung auf das Grundstück von Eitel Brandenburg und Elisabeth Hömke folgt, sieht er den Rauch und das Feuer.
Laut Polizei ist das um 5 Uhr morgens, Nachbarn sprechen von einer späteren Uhrzeit. Die Feuerwehr rückt mit Tankwagen aus, unterstützt von einer Militäreinheit. Erst gegen 10 Uhr ist der Brand gelöscht.
Foto: Gendarmerie Nationale
Schnell sind sich die Beamten sicher, dass das Feuer gelegt wurde. Der Brand sei an mehreren Stellen ausgebrochen, steht im Polizeibericht. Die Beamten finden noch an diesem Tag Knochenreste „menschlichen Ursprungs“ und – wie sich später herausstellt – die Knochen von drei Hunden. Neben Eitel Brandenburgs Leiche liegt ein Gewehr. Von Elisabeth Hömke ist nichts zu finden. Es gibt auch keinen Abschiedsbrief, der auf einen Suizid hindeuten würde. Rund um das Haus ist ohnehin alles verbrannt.
20 Gendarmen und vier Kriminaltechniker machen sich an die Ermittlungen. Die Beamten fokussieren sich auf die Umgebung, nachdem ein Kleinbagger vergeblich auf dem Grundstück Trümmer zur Seite geschoben hatte. Taucher der Gendarmerie aus Nantes suchen zwei Gewässer ab. Einen der Teiche hat Eitel selbst aufgestaut. Eine Art Hundertschaft durchforscht das Unterholz in der Nähe. Es gibt keinen Hinweis auf Elisabeth Hömke. Genau eine Woche nach dem Brand bringt ein DNA-Abgleich Gewissheit, dass es sich bei dem gefundenen Toten um Eitel Brandenburg handelt. Seitdem können Staatsanwaltschaft und Polizei in Frankreich keinen Ermittlungserfolg mehr vorweisen.
Foto: Gendarmerie Nationale
Polizei will „nichts ausschließen“
Die Polizei will direkt nach dem Brand „nichts ausschließen“. Sie hält es für möglich, dass einer der beiden Partner den anderen getötet und dann sich selbst umgebracht hat. Elisabeth Hömke könnte auch auf der Flucht sein. Die Angehörigen des unverheirateten Paares müssen mit der Ungewissheit leben, dass ihre Eltern sowohl Täter als auch Opfer sein könnten. Auch ein Überfall durch Dritte kommt in Frage.
Spurensuche im benachbarten Dorf Saint Georges de la Couée: Viele Häuser stehen leer. Eine Bürgermeisterin vom Front National hält die Stellung in einem kleinen Büro. Draußen fällt der Putz von den Wänden. Ab und an ist die kleine Poststelle geöffnet. Auf der Straße ist nur selten mal jemand zu sehen. Eitel Brandenburg und Liz Hömke wollten sich hier ein neues Leben aufbauen, als sie vor gut 15 Jahren das Haus kauften. Irgendwann entschieden sie sich, ganz von Menden nach Saint Georges de la Couée zu ziehen, vom Sauerland ins Département Sarthe. Zwei Deutsche in Frankreich.
„Denny“ war wohl der letzte Mensch, der Eitel Brandenburg lebend sah
Ein paar hundert Meter vom Tatort entfernt lebt Daniel Weber. Auch er ist deutscher Auswanderer. Nachbarn nennen ihn den „Hippie“. Der 65-Jährige hat sein Haus in vielen unterschiedlichen Farben gestrichen. „Casa Colorado“ steht in bunten Buchstaben an der Wand. „Denny“ war wohl der letzte Mensch, der Eitel Brandenburg noch lebend zu sehen bekam.
Er war am Abend vor dem Brand bei mir. Er hat mir Kontoauszüge gezeigt. Die Liz hatte ihm wohl Geld abgezweigt.
Daniel Weber
Deutscher Auswanderer
Viel sei es nicht gewesen, aber Eitel habe sich sehr darüber geärgert. Im Dorf war sei es ein offenes Geheimnis gewesen, dass sich Eitel und Liz trennen wollten bestätigen auch andere Nachbarn. Sie seien sich nur nicht einig geworden, wer den gemeinsamen Hof behalten darf. „Die hatten sich da was aufgebaut“, sagt Weber, der aus dem Schwarzwald stammt.
Streit hin oder her. Auf einen bevorstehenden Mord habe für ihn nichts hingedeutet, sagt Denny. Eitel sei an dem Abend nicht aggressiv gewesen.
Der war auch nicht betrunken, als er nach Hause gegangen ist. Wir haben ein Glas Wein getrunken. Aber das ist doch nichts.
Daniel Weber
Deutscher Auswanderer
Sind den französischen Ermittlern diese Aussagen überhaupt bekannt? Gingen Sie dem Motiv nach? Staatsanwalt Fabrice Bélargent vom zuständigen Gericht in Le Mans schweigt zu diesen Fragen. „In Ermangelung einer nennenswerten Entwicklung“ dieses Verfahrens wolle er sich nicht äußern. „Es handelt sich um ein gerichtliches Untersuchungsverfahren, das unter das Ermittlungsgeheimnis fällt“, erklärt Bélargent knapp per E-Mail, nachdem mehrere schriftliche Anfragen der Redaktion zunächst ins Leere laufen.
Auch die Polizei lehnt einen zunächst in Aussicht gestellten Gesprächstermin in Le Mans ab. Da ein gerichtliches Ermittlungsverfahren eröffnet worden sei, dürfe die Gendarmerie zu den Ermittlungen gar keine Auskünfte mehr geben, erklärt Lieutenant-Colonel Eric Cabioch. Die Polizei hatte zunächst für Verwirrung gesorgt, weil sie unter anderem mit den Umlauten auf Hömkes Namen nicht zurechtkam und nach einer „Élisabeth Holmke“ und einem „Eitel Brandenbourg“ fahndete. Die Beamten gingen auch fälschlicherweise davon aus, dass Hömke vorher in Duderstadt in Niedersachsen gelebt hatte. Dort wurde sie als Elisabeth Schneider geboren.
Täter oder Opfer?
Diese beiden Theorien beschäftigen auch immer wieder Dorfbewohner in Saint Georges de la Couée. An einen Überfall durch Dritte glaubt aktuell niemand mehr. „Die Oma“ – eine alte Frau, die auf dem Feld Steine gesammelt hat – fasst es im Vorbeigehen zusammen. „Partit ou mort.“ Auf Deutsch:
Abgehauen oder tot.
Anwohnerin
Die französische Polizei ging wohl zunächst intensiv der Vermutung nach, dass Elisabeth Hömke auf der Flucht ist. „Angeblich gab es den Verdacht, dass sich die Liz mit dem Auto auf und davon gemacht hat“, sagt Autohändler Gerhard Weinrich. „So haben sie es mir erzählt. Die suchten nach einem blauen Auto. Ich kannte aber nur einen silbernen Renault Scénic.“ Der 68-Jährige bereitet gut einen Kilometer Luftlinie vom Hof Le Rompay entfernt Schrottautos auf. Auch er ist Deutscher und kannte das Paar gut. Weinrich schildert, dass sich Eitel und Liz auseinandergelebt haben sollen. „Die Liz habe ich dann aber immer seltener gesehen, weil sie sich sehr zurückgenommen hat. Da passte irgendwas nicht mehr. Ich hab‘ mich dann immer gefragt, wie sie es bei ihm aushält.“
Eitel sei immer aggressiver geworden, sagt Weinrich. Er habe einen Jagdschein gemacht, Waffen gekauft und merkwürdige Dinge getan. Der Auswanderer habe zum Beispiel einmal eine Dreschmaschine auf seinem Grundstück einfach im Boden verbuddelt.
„Da ist aber immer noch ein Hohlraum im Boden. Da hat die Polizei nicht nach Liz gesucht.“ Es gebe mehrere ähnliche Stellen auf dem Grundstück. Wenn Eitel den Brand gelegt habe, dann nicht um Spuren zu verwischen, sondern damit niemand mehr etwas von dem Glück der beiden abbekomme. Die Staatsanwaltschaft will auch eine Frage zu diesem Aspekt nicht beantworten.
Gerhard Weinrich schildert eher verzweifelte Versuche der französischen Beamten. Monate nach dem Brand seien die Ermittler noch einmal zu ihm gekommen, sagt der Autohändler. Sie hätten in den Kofferräumen seiner Schrottautos nach der Leiche von Liz gesucht, aber erwartungsgemäß nichts gefunden. Weinrich schüttelt den Kopf:
"Die Gendarmerie war hier bei mir. Die haben die Kofferräume durchgeguckt. Das war aber auch erst ein halbes Jahr später. Wenn da eine Leiche im Kofferraum war, dann hätte das keiner gesehen. Die wäre im Schrott gelandet."
Gerhard Weinrich
Autohändler
Die Ruine blieb komplett unberührt
Wer durch den Wald Richtung Le Rompay läuft, steht auf einmal direkt vor dem Haus. Die Ruine blieb komplett unberührt, nachdem die Ermittler abzogen. Selbst die gefürchteten Diebesbanden der Region haben Le Rompay ausgelassen, sagen Anwohner, „weil sie Angst haben vor dem Tod“. Vom Schuppen, in dem die Ermittler die Überreste von Eitel Brandenburg fanden, ist nicht mehr viel übrig. Die Kriminaltechniker haben die Trümmer Stück für Stück abgetragen. Davor liegt die alte Türglocke. Im geöffneten Schuppen nebenan tropfen Kühltruhen. Beim Hauptgebäude ist das Obergeschoss aufs Untergeschoss gestürzt. Dieses Gebäude hat niemand abgetragen. So wie es jetzt aussieht, ist es undenkbar, dass jemand darunter nach einer Leiche gesucht hat. Wurde hier wirklich gesucht? Auch hier keine Antwort der Staatsanwaltschaft.
Die Zufahrt mit dem Briefkasten, an dem noch der Name des Paares steht, ist mit Flatterband abgesperrt. Andere Wege nicht. Was aus dem Haus wird, ist unklar. Die französische Staatsanwaltschaft gibt das Gelände nicht für mögliche Erben frei.
Elisabeth Hömke gilt zwar als vermisst, aber nicht als tot. Nach deutschem Recht kann sie frühestens zehn Jahre, nach dem Jahr, in dem sie zum letzten Mal lebend gesehen wurde, für tot erklärt werden. Das sogenannte Verschollenheitsgesetz stammt noch aus der Nazi-Zeit.
In der Zwischenzeit rotten auf dem Grundstück zwei Traktoren vor sich hin. Ein Wohnwagen und ein Klapp-Anhänger stehen zwischen wucherndem Gestrüpp und Ruinen. Von dem einst so gepflegten Vorplatz ist kaum noch etwas zu erkennen. Der Wein an der Fassade ist reif zur Ernte. Die Gegend zwischen den Flüssen Loir und Loire gilt als gute Weingegend.
Der Fall hat ehemalige Weggefährten schockiert
Zurück in die alte Heimat nach Menden im Sauerland. Der Fall hat ehemalige Weggefährten schockiert. Freunde beschäftigen sich mit den gleichen Fragen wie die Dorfbewohner in Saint Georges de la Couée. Hier in Menden hatte Eitel Brandenburg beim mittelständischen Unternehmen KME in der Metallverarbeitung einen festen Job. Er war Betriebsrat, setzte sich für die Kollegen ein.
Norbert Beschorner (64) kannte ihn aus der Boxabteilung beim SV Menden. „Eitel war ein erstaunlicher Typ. Der war mit 60 Jahren noch so was von sportlich drauf. So etwas habe ich selten gesehen. Als er nach Frankreich gegangen ist, ist er in Ehren gegangen.“ Viele ehemalige Weggefährten aus Menden schildern Brandenburg als netten Kumpeltypen.
"Er hatte vielleicht eine harte Schale, aber einen weichen Kern. Das, was da in Frankreich passiert ist, ist vor allem tragisch – egal, was sich irgendwann mal herausstellen wird."
Norbert Beschorner
kannte Eitel Brandenburg aus der Boxabteilung beim SV Menden
Auch die deutsche Polizei suchte nach Elisabeth Hömke, fragte Bekannte und Verwandte nach Hinweisen, die eine Erklärung zu einer Tat liefern könnten. Die Beamten wollen nicht viel zu dem Fall sagen. „Wir waren und sind in die Ermittlungen nicht eingebunden“, sagt Sprecher Marcel Dilling.
Die Polizei im Märkischen Kreis hatte seinerzeit Amtshilfe geleistet, Verwandte informiert und die Fahndung nach Elisabeth Hömke verbreitet, ohne Erfolg. Der Informationsfluss aus Frankreich stockte oft, ist zu hören. Nachrichten zwischen Gendarmerie und Polizei nahmen den komplizierten Umweg über Innen- und Außenministerien. Heute ist die einzige Nachricht, die Marcel Dilling verbreiten kann:
Elisabeth Hömke bleibt europaweit zur Fahndung ausgeschrieben.
Marcel Dilling
Polizeisprecher
„Eitel war kein Arschloch“, sagt Norbert Beschorner. Sein ehemaliger Betriebsratskollege Dieter Kraus hält es sogar für falsch, weiter nach der Wahrheit zu suchen. „Tote soll man ruhen lassen.“ Nachbar Denny in Frankreich sieht, dass da ein echtes Drama auf Le Rompay passierte.
Ich verurteile Eitel nicht, selbst wenn er es war.
Daniel Weber
Deutscher Auswanderer
Familienmitglieder des Paares lassen ausrichten, dass sie sich nicht öffentlich äußern wollen. Eine alte Freundin meldet sich telefonisch in der Redaktion. Sie wolle nicht glauben, dass Eitel der Mörder sein kann. „Der hätte niemals seine Hunde erschossen.“
Boxer Eitel hat seine letzte Ruhe in Frankreich gefunden. Mitten im Wald hängt eine kleine Schiefertafel an einer dicken Eiche. Am Fuß sollen Familienmitglieder Eitel am 18. Juli 2016 beigesetzt haben. Hornissen umschwärmen das Schild. Auf der Tafel steht „Eitel – 1943-2016“. Darunter sind die Namen seiner drei Hunde Braco, Dolf und Jill zu lesen. Ein Bild zeigt einen Mann, der mit einem Gewehr in die Ferne zielt.
Elisabeth Hömke bleibt verschwunden
Polizei und Staatsanwaltschaft sind schon lange nicht mehr in Saint Georges de la Couée gesehen worden. Auch in Richtung der Angehörigen soll der Informationsfluss stocken. Staatsanwalt Fabrice Bélargent teilt dazu mit: Wenn Familienmitglieder etwas erfahren wollten, könnten sie Auskunft erhalten – auf Antrag.