Auf der Hallenberger Bühne ist „dick auftragen“ erwünscht

Die blonden Haare jucken. Das helle Make-up betont jede Falte. Oh Gott, schon so viele! Lippenstift an sich ist kussfest, aber auch spruchfest? Ich wage kaum zu reden. Die Federboa und die Ohrringe rauben mir den Verstand. Jetzt bitte nicht auch noch das rote Kleid! Glück gehabt! Selten habe ich mich in meiner Haut so unwohl gefühlt. Aber was heißt hier „in meiner Haut“?

Zwei Wölfe unter Schafen

Die Freilichtbühne Hallenberg spielt in diesem Jahr die legendäre Komödie „Manche mögen’s heiß“ um zwei arbeitslose Jazzmusiker. Joe und Jerry müssen vor Gangstern fliehen, schlüpfen dazu in Damen-Rollen und finden als Josephine und Daphne Unterschlupf in einer Frauen-Kapelle. Zwei Wölfe unter Schafen.

Uta Paffe und Andrea Hartmann vom achtköpfigen „Masken-Team“ der Freilichtbühne schmunzeln, als ich auf dem Drehstuhl Platz nehme. „So, dann wollen wir Dich mal in eine hübsche Dame verwandeln.“ Entmannung auf die sanfte Art. Drei-Tage-Bart war gestern.

Fettschicht auf der Haut

Heute habe ich mich eigens nass rasiert, damit sich Puderquast und Pinsel nicht im Gesichtgestrüpp verheddern. „Am besten gönnst Du Deiner Haut erstmal eine ordentliche Fettschicht, damit die Farben hinterher auch wieder gut abgehen“, rät Uta. Und dann lange ich zu und verteile die weiße Masse aus der blauen Dose zweihändig im Gesicht. Mist! Ich hätte vorher die Brille abnehmen sollen, egal!

„Zu der Zeit, als die Geschichte spielt, hatten die Frauen eine vornehme Blässe. Deshalb wirst Du gleich ein wenig kalkig aussehen“, warnt Uta Paffe. Die 50-Jährige ist eigentlich Steuerfachgehilfin, aber schon seit 40 Jahren bei der Bühne. Mit den „Bremer Stadtmusikanten“ begann ihre Liebe zum Theater; seit 20 Jahren ist sie nun in der Maske tätig und seit geraumer Zeit die Herrin über Mascara, Kajal und Co.

Eine geniale Idee

Erst neulich war die Profi-Maskenbildnerin des Dortmunder Theaters zu Gast in Hallenberg, um der Crew neue Kniffe zu verraten. „Die Meerjungfrauen bei ,Jim Knopf’ bekommen zum Beispiel einfach Netzstrumpfhosen auf die Haut. Für die Schuppen. Eine geniale Idee. Muss man aber erstmal drauf kommen.“

Zurück zum Redakteur, der inzwischen ganz blass um die Nase geworden ist. „1W“ heißt die extrem helle Make-up-Grundierung, die meine erste Frühlingsbräune in die Versenkung geschickt hat. Es sind gar nicht so viele Handgriffe, die Uta an meinem Gesicht vollbringt. Aber jeder sitzt und passt. „Die Wimpern kannst Du ihm ruhig so lassen, die sind von Natur aus schön. Nur ein bisschen Farbe ‘drauf“, rät Utas Kollegin Andrea.

Von Natur aus schöne Wimpern

Danke! Mit einem Camouflage-Stick werden meine Fast-Theo-Waigel-Augenbrauen vom Eichhörnchenschweif mit Eigenleben zum zarten Lidstrich. Mein Gesicht verändert sich, die Züge werden weicher. Mit einem feinen Pinsel trägt Uta eine kräftige Lippenfarbe auf und begrenzt die Konturen mit einem anderen Abdeckstift, so dass ich einen viel schmaleren Mund bekomme. Irgendwie bin das nicht Ich.

„Wenn die Schauspieler hier vor dem Spiegel sitzen, sind sie oft entsetzt über die intensive Farbgebung. Aber unsere Devise lautet: weit macht schön. Das heißt: in dem weiten Zuschauerareal geht viel Farbgebung verloren, deswegen muss hier anders geschminkt werden, als wenn ich jemanden abends für eine Party style“, erklärt Uta. Na bitte, endlich mal jemand, der dick auftragen darf. Rund um die Augen bekomme ich einen dunklen Lidschatten. „Thomas, nun halt doch mal still! Dir passiert nichts!“, mahnt Uta, während ich aus Angst vor der kleinen schwarzen Bürste nervös mit den Augen zucke und zwinkere.

Das i-Tüpfelchen

Ein kleiner Schönheitsfleck auf der linken Wange setzt das i-Tüpfelchen in mein neues Gesicht. Aber die Krönung kommt erst noch. Blond oder brünett? Ich darf beide Haarfarben ausprobieren und fühle mich mit der Perücke auf dem Kopf unglücklicher denn je. Wenn schon, denn schon. Ich tendiere zu hellblond.

Keine zehn 15 Minuten hat die Verwandlung gedauert. Und es ist erstaunlich, mit wie wenigen, aber gut gesetzten Akzenten ein Männergesicht feminine Züge bekommen kann. Wenn das Stück ab 11. Juni über die Bühne geht, haben Uta und ihr Team nur drei Minuten Zeit, um Thomas Knecht und Stefan Pippel in Frauen zu verwandeln.

Knallrote Lack-Pumps

Die beiden haben sich inzwischen sogar knallrote Lack-Pumps im Spezialhandel besorgt. Ich musste diese Verwandlung ohne Schuhe und Kleid Gott sei Dank nur einmal mitmachen; die beiden haben das bis September in 16 Aufführungen vor sich. Nie war ich so froh und glücklich, ein Mann zu sein. Manche mögen’s heiß, manche eher nicht . . .