Sieben Gänge - richtig essen
Sieben Gänge - richtig essen

Sieben Gänge - richtig essen
Keine Panik vor viel Besteck - Wie man sich im Sternerestaurant stilsicher durch ein Gourmetmenü isst
Von Mara Pitz (Text) und Harald Kaster (Fotos)
Erinnern Sie sich an Julia Roberts alias „Pretty Woman“? In dem Film von 1990 wird das Mädchen von der Straße zu einem schicken Dîner geladen, verzweifelt aber schon beim Anblick der gedeckten Tafel: so viele Gabeln, so viele Messer! Ähnlich kann es einem ergehen, wenn man zu einem imposanten Menü ausgeführt wird.
Nur keine Panik – so lässt sich der Rat von Manfred Bolsch, seit Herbst Restaurantleiter im Mainzer „Favorite“, und Philipp Stein, Sternekoch und seit 2014 dort Küchenchef, zusammenfassen. Die beiden Sternegastronomen haben das Sieben-Gänge-Menü auf dieser Seite vorbereitet – und erklären, worauf es beim Verzehr ankommt.
In „Pretty Woman“ hält sich die Protagonistin an den einfachen Tipp: die Bestecke von Gang zu Gang von außen nach innen abarbeiten. So kann man sich das durchaus merken, erläutert Restaurantleiter Bolsch. Links vom Teller sind die Gabeln platziert, rechts liegen die Messer – außerdem Esswerkzeuge, die kein Gegenstück haben wie die Austerngabel oder der Suppenlöffel. Über dem Messer für den Hauptgang steht das dazugehörige Glas, auch Richtglas genannt. In unserem Beispiel ist es – wie meistens – das Rotweinglas, da zum Rindfleisch ein Roter am besten passt.
„Wir leiten den Gast durch den Abend“, sagt Bolsch. Das beginnt mit dem Abnehmen der Garderobe – und dazu gehört auch, dass der Dame der Stuhl herangeschoben oder Wein nachgeschenkt wird, sobald das Glas leer ist. Fehlt doch etwas, sind kleine Gesten gefragt: „Blickkontakt zum Kellner suchen sollte reichen, wenn das nicht klappt, allerhöchstens den Zeigefinger leicht anheben“ erläutert der Servicespezialist, der stets mit Adleraugen, aber diskret den Gastraum mustert. Wie macht er das, ohne dass sich die Menschen beobachtet fühlen? „Ich beobachte den Tisch und nicht die Gäste,“ antwortet Bolsch.
Wer dennoch Angst vor dem schicken Abendessen hat, den können die Experten beruhigen. Eine komplett eingedeckte Tafel werde in der Sternegastronomie tatsächlich immer seltener. Küchenchef Stein erklärt: „Nicht alle Gäste essen ein Menü, sondern bestellen à la carte.“ Wird dennoch ein Menü geordert, kommt das passende Besteck mit dem Gang. Das macht die Sache für den Gast natürlich einfacher. So oder so sollte der sich ohnehin auf etwas anderes konzentrieren: nämlich den Genuss der Speisen.
Das Menü
Die hier gezeigten Speisen sind ein Beispielmenü, zusammengestellt und serviert vom Team des Restaurants „Favorite“ in Mainz. In dieser Form steht es nicht auf der Speisekarte. Ähnliche Arrangements kosten im Restaurant 140 Euro pro Person, ein Fünf-Gänge-Menü ist für rund 100 Euro erhältlich.
Amuse gueule
Noch nicht als eigener Gang zählt dieses Dreierlei, der sogenannte Gruß aus der Küche, das vorab serviert wird: eine Gemüsekonsomme (links), ein Brezelchip mit Spundekäs (rechts) und eine Fischpraline im Kataifiteig – ein Gebäck, das auch Engelshaar genannt wird. Besteck wird dafür noch nicht benötigt.
Schon zum Vorab-Dreierlei kommt die Serviette ins Spiel. Man nimmt sie, und legt sie sich – einmal gefaltet – auf die Oberschenkel. In der Regel so, dass die offene Seite nach unten zum Knie, die gefaltete in Richtung Schoß zeigt, erläutert Restaurantchef Bolsch. Ein No-Go: sich das Tuch wie einen Schlabberlatz vorne in den Kragen zu stopfen. Ebenfalls wichtig wird die Serviette, wenn einem bei Tisch ein Malheur passiert. Fällt ein Stück Fleisch vom Teller oder wird ein Glas umgeschüttet, kann der Gast das mit dem Tuch aufnehmen. Die Serviette dann einfach diskret in der Hand behalten (nicht auf den Tisch legen!) und warten, bis das Servicepersonal sie abnimmt.
Die schräg liegende Gabel gehört zur Auster mit Limonen-Estragon-Vinaigrette, unserem zweiten Gang. Allerdings ist die Muschel – wie in der Sterneküche üblich – bereits von der Schale abgelöst. Man kann sie also direkt ausschlürfen oder mit der Gabel aufnehmen und zum Mund führen.
Jetzt schäumt`s im vierten Gang: Kokosschaumsuppe mit Garnelentartar, Zuckerschoten und Sojakaviar. Der Clou: Erst am Tisch wird die Suppe in den Teller gegossen. Das Garnelentatar verschwindet nach und nach in der Flüssigkeit.
Der Hauptgang, der sechste: Bavette – ein Flanksteak – vom Black-Angus-Rind auf Blattspinat, Karotte und Ochsenmarkkruste. Das Steakmesser wird separat gebracht – auch hierzu gibt es einen Gourmetlöffel.
Zum Kaffee oder Espresso gibt es Schokoladiges: Der Ober kommt mit einer Auswahl an hausgemachten Pralinen an den Tisch. Tipp am Rande: Vermeintlich lustige Sprüche wie „Danke, das wäre aber nicht nötig gewesen“ oder „Und was essen die anderen?“ verkneift man sich als Gast besser. Lachen kann das Servicpersonal über solche Kommentare allenfalls gezwungen, denn es hört sie so gut wie täglich.